Immer wieder werden Elbe und Donau, aber auch Oder und Weichsel von Hochwasser heimgesucht. Ist es Zufall, dass gerade diese Flüsse betroffen sind, oder lässt sich eine gemeinsame Ursache finden? Es ist eine bestimmte Wetterlage, die für diese immer wiederkehrenden Flutwellen sorgt: die Vb-Wetterlage.
Die Hochwasser Lagen der vergangenen Wochen an Elbe und Donau werden sich in Zukunft immer öfters wiederholen. Auch die Oder wird häufiger über die Ufer treten. Warum das so sein wird, dürfte am Ende dieses Artikels hoffentlich allen klar sein. Nur schnelles und umfassendes Handeln kann die verheerenden Folgen minimieren.
Historisches
Die Bezeichnung Vb-Wetterlage (V = römisch 5) geht auf den deutschen Meteorologen van Bebber zurück. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es zwar schon ein meteorologisches Messnetz, doch war das bei weitem nicht so dicht wie heute. Außerdem fehlten Informationen vom Wettergeschehen über den riesigen Weiten der Ozeane.
Radiosondenaufstiege, die Messwerte über den Zustand der höheren Schichten liefern, waren unbekannt und natürlich gab es auch noch keine Satelliten. So konnten die Meteorologen nur durch Beobachtung der Wolken, wie sie sich formten und am Himmel entlang zogen, Rückschlüsse auf die Verhältnisse in der Höhe ziehen.
Um trotzdem den Geheimnissen des Wetters auf die Schliche zu kommen und praktikable Regeln für die Wettervorhersage zu erhalten, hat van Bebber versucht die Zugbahnen von Tiefdruckgebieten zu katalogisieren. Er definierte 5 Haupt-Zugbahnen, die er mit den römischen Ziffern I bis V bezeichnete. Unterklassen erhielten die Buchstaben a, b und c.
Im 20. Jahrhundert wurde das Messnetz weiter ausgebaut und es wurden Radiosondenaufstiege eingeführt und Flugzeuge zur Erkundung des Wettergeschehens eingesetzt. Das führte zu einem besseren Verständnis der Wetterabläufe und der physikalischen Prozesse in der Atmosphäre. Die Meteorologen stellten mit zunehmender Kenntnis fest, dass die Katalogisierung der Zugbahnen für die Wettervorhersage im Einzelnen doch nicht so hilfreich war und so verschwand allmählich die Arbeit von van Bebber in der Versenkung.
Vb-Wetterlage
Nur eine Wetterlage hat bis heute ihre alte Bezeichnung behalten. Das liegt an zwei Gründen:
- die Zugbahn eines Vb-Tiefs ist charakteristisch und unverwechselbar und
- die Folgen können dramatische Ausmaße annehmen.
Normalerweise ziehen Tiefdruckgebiete vom Atlantik kommend über den Norden und die Mitte Europas nach Osten. Wenn kalte Luft aus polaren Breiten nach Westeuropa strömt, schneidet sie den Tiefs den direkten Weg nach Osten ab. Die Tiefs müssen nach Süden ausweichen und ziehen über Südfrankreich und die Iberische Halbinsel ins Mittelmeer.
Dort treffen sie auf das warme Wasser des Mittelmeeres. Und dabei passiert zweierlei:
- Das Tief verstärkt sich, weil es zusätzliche Energie in Form von fühlbarer Wärme aufnimmt.
- Außerdem nimmt es von dem warmen Wasser sehr viel Wasserdampf auf.
- Dieser Wasserdampf führt zu mächtigen Wolken.
- Das Tief verstärkt sich weiter, weil durch den Wasserdampf zusätzliche Energie in das Tief gepumpt wird. Denn zum Verdunsten des Mittelmeerwassers ist Energie notwendig. Die wird wieder frei, wenn der Wasserdampf zu Wolkentröpfchen kondensiert.
Dieses Vollpumpen mit Energie geschieht im Golf von Genua, weshalb sich der Begriff „Genua-Zyklone“ im meteorologischen Sprachgebrauch eingebürgert hat. Häufig bleibt die Genua-Zyklone auf der Südseite der Alpen. Dann werden die warmen, mit Feuchte vollgesaugten Wolkenmassen von Süden her gegen die Alpen getrieben, was Hochwasser erst im Tessin und in Südtirol zur Folge hat, später dann in Oberitalien, wenn der Po weite Landstriche unter Wasser setzt.
Wenn ein solches mit Energie vollgepumptes Tief die Vb-Bahn nach Nordosten einschlägt, ist höchste Alarmstufe angesagt. Das hat 3 Gründe:
- Die mächtigen Wolkenmassen können sehr viel Niederschlag bringen.
- Ein Vb-Tief zieht meist sehr langsam, so dass die heftigen Niederschläge über einem Gebiet stunden- wenn nicht sogar tagelang anhalten können.
- Die Luft strömt gegen den Uhrzeigersinn um ein Tief, so dass die vielen, meist in West-Ost-Richtung verlaufenden Gebirge die Niederschläge erst von Süden, dann von Norden abbekommen.
Elbe-Donau Hochwasser
Die Hochwasserlage im Juni 2013 lässt sich mit der Situation im Jahr 2002 vergleichen, wobei die Wetterlage damals noch charakteristischer war als in diesem Jahr.
Im August 2002 führte solch eine Vb-Wetterlage zu einer Hochwasserkatastrophe am Oberlauf der Elbe und in Bayern. Dabei fielen in Zinnwald auf der Nordseite(!!) des Erzgebirges innerhalb von 24 Stunden 312 mm Regen. Dieses Elbhochwasser zeigte exemplarisch, wie es zu Stauniederschlägen sowohl auf der Süd- wie auch auf der Nordseite eines Gebirges kommen kann.
Als sich das Vb-Tief von der Adria her auf den Weg nach Norden machte, stauten sich die Wolkenmassen zunächst auf der Südseite der Ostalpen mit heftigen Regenfällen. Ganz langsam zog das Tief weiter Richtung Tschechien und damit begann das Unheil. Zwischen Riesen-, Erzgebirge und Böhmerwald waren die von Südosten heranziehenden Wolken gefangen und stauten sich auf der tschechischen Seite. Sintflutartige Wassermassen stürzten vom Himmel und ließen innerhalb kurzer Zeit die Nebenflüsse der Elbe anschwellen. Auch aus dem Quellgebiet der Elbe zog eine Hochwasserwelle heran. Prag und große Teile Böhmens standen unter Wasser.
Auf dem weiteren Weg nach Norden trieb das Tief die Wolkenmassen erst über das Erzgebirge nach Polen, dann nach Westen in die Lausitz und schließlich von Norden her gegen das Erzgebirge, wo es 3 Tage lang fast ohne Unterbrechung regnete. Zusammen mit der heranrollenden Flutwelle aus Tschechien nahm die Katastrophe ihren Lauf.
Aber auch in Bayern gab es Hochwasser, da die höheren Wolken über den Böhmerwald erst westwärts zogen und dann von Norden her gegen die wesentlich höheren Alpen getrieben wurden, wo sie sich stauten und ihre Wassermassen abluden. Erst traten die südlichen Nebenflüsse über die Ufer und dann wälzten sich die Wassermassen in die Donau.
Oder Hochwasser
Im Juli/August 1997 waren wochenlang viele Gebiete auf der deutschen und der polnischen Seite der Oder überflutet. Auch hier brachte ein Vb-Tief mit sintflutartigen Regenfällen das Unheil.
Beim Oderhochwasser zog das Tief etwas mehr nach Nordosten und lud zunächst seine Wassermassen in der Slowakei ab. Vor allem auf der Südseite der hohen und niederen Tatra regnete es so heftig, dass einige Landstriche überflutet wurden.
Als die Wolkenmassen auf der Nordseite des Tiefs herumgetrieben wurden und von Nordosten gegen das Riesengebirge prallten begann das Unheil. Im gesamten Sudetenland regnete es tagelang und vom Oberlauf der Oder und von den Nebenflüssen wälzten sich die Wassermassen nach Norden.
Da weiter stromabwärts das Gefälle der Oder sehr gering ist, konnten die Wassermassen nur sehr langsam abfließen, und deshalb blieb die Gefahr von Deichbrüchen wochenlang bestehen.
Weichsel Hochwasser Selbst die Weichsel gehört zu den von Vb-Tiefs bedrohten Flüssen, auch wenn nur sehr selten die Tiefs so weit östlich auftauchen. Doch der Vollständigkeit halber wird es hier erwähnt.
Hier beginnt die Hochwassergefahr in Ungarn, wenn die Wolkenmassen gegen die Südhänge der Tatra und der Karpaten prallen. Dann kann die Theiß über die Ufer treten. Werden die Wolkenmassen dann herum geholt und von Norden her gegen die Berge getrieben, steigt die Hochwassergefahr an der Weichsel.
Klimawandel und Vb-Wetterlage
Dass die Vb-Wetterlagen in den letzten Jahren ziemlich dramatische Ausmaße angenommen haben, liegt zum Teil an menschlichen Eingriffen. Dazu gehört die geringer werdende Kapazität der Böden die Wassermassen aufzunehmen, die erhöhte Abflussgeschwindigkeit der Wassermassen durch Bodenversiegelung und –verdichtung. Auch Erosion, Abholzung, Begradigung, Kanalisierung sowie weniger Auenlandschaften erhöhen die Fließgeschwindigkeit.
Untersuchungen von Wissenschaftlern zeigen, dass die Häufung der Vb-Wetterlagen schon mit dem Klimawandel zusammenhängt. Die Atmosphäre wird wärmer und auch das Wasser des Mittelmeeres. Damit kann noch mehr Wasser verdunsten, was als latente Wärme den Energieinhalt der Tiefdruckgebiete erhöht. Die Erhöhung der Lufttemperatur führt als fühlbare Wärme den Tiefs ebenfalls zusätzliche Energie zu, was zu stärkeren Tiefs und mächtigeren Wolkenmassen führt. Sollten sich die Untersuchungen der Wissenschaftler bestätigen, werden wir in Zukunft den Begriff der „Vb-Wetterlage“ häufiger in den Medien erleben.