Nahezu 10 Jahre nach dem Absturz der Air France Concorde hat ein französisches Gericht ein Urteil gefällt und Continental Airlines für schuldig erklärt. Doch die bekannten Fakten weisen auf viele Ursachen hin: ein fehlendes Abstandsstück am Fahrwerk, eine überladene Maschine, der Schwerpunkt außerhalb des sicheren Bereichs, ein abgeschaltetes Triebwerk, zwei Triebwerke mit reduzierter Leistung, eine längere Startstrecke und ein Metallstreifen, der bei normaler Startstrecke nicht überrollt worden wäre.
Der Ablauf
Air France Flug 4590, ein Charterflug der Peter Deilmann Kreuzfahrten, sollte am 25. Juli 2000 mit 100 Passagieren von Paris nach New York fliegen. Ziel der Passagiere, die größtenteil aus dem Raum Mönchen-Gladbach kamen, war eine 16tägige Luxus-Kreuzfahrt von New York nach Südamerika. Der Abflug vom Flughafen Charles de Gaulle verspätete sich um 45 Minuten, da einige Gepäckstücke verspätet eintrafen. Außerdem musste ein Defekt an der Schubumkehr am Triebwerk Nr. 2 beseitigt werden. Währenddessen trafen die noch fehlenden 19 Gepäckstücke ein. Nach dem Verladen im hinteren Gepäckraum meldeten die Piloten gegen 14.00 Uhr, dass die Maschine fertig sei.
Der Start wurde für 14.30 Uhr von der Startbahn 26R beantragt. Zehn Minuten später (etwa 14.10 Uhr) erhielt die Concorde die Erlaubnis zum Starten der Triebwerke. Das berechnete Gesamtgewicht zum Zeitpunkt des Rollens betrug 186,9 Tonnen, davon 95 Tonnen Treibstoff (inkl. 2 Tonnen Taxi-fuel). Die Startgeschwindigkeiten waren wie folgt berechnet:
- V1 150 kt
- VR 198 kt
- V2 220 kt
Um 14.34 Uhr wurde die Rollfreigabe zum Rollhaltepunkt an der Startbahn 26R erteilt. Kurz vorher startete eine DC-10-30 der Continental Airlines. Anschließend rollte die Concorde in die Startposition. Der Flugingenieur informierte die Piloten, dass beim Rollen 800 kg Treibstoff verbraucht worden sind, 1,2 Tonnen weniger als vorher berechnet.
Um 14.42 erteilte der Tower die Startgenehmigung, mit dem Zusatz, dass der Wind jetzt aus 090 Grad mit 8 kt weht. 30 Sekunden später rief der Co-Pilot 100 kt, weitere 6 Sekunden danach V1 aus. Wenige Sekunden später rollte ein Reifen des linken Haupt-Fahrwerks über einen 45cm langen und 3cm breiten Metallstreifen aus Titan. Dieser Metallstreifen stammte vom Umkehrschubmechnismus der vorher gestarteten DC-10. Der Reifen wurde aufgerissen und die einzelnen Reifenteile durchschlugen die Unterseite der Tragfläche (in der sich der Tank befindet). Der Einschlag der Teile verursachte eine Schockwelle, die sowohl die Tankwände als auch ein elektrisches Kabel (115 Volt Leitung) beschädigte. Der austretende Treibstoff entzündete sich an den Lichtbögen des beschädigten Kabels.
Beide Triebwerke auf der linken Seite (Nr.1 und Nr, 2) verloren an Schub, weil heisse Gase in die Lufteinlässe gesaugt wurden. Die Maschine zog jetzt nach links, zerstörte ein Landebahnlicht, wobei Teile davon in den Lufteinlass des Triebwerks Nr. 2 gerieten. Die Concorde drohte nun auf eine auf dem Taxiway stehende B747 der Air France aufzuprallen. Zur Vermeidung des Zusammenstoßes zog der Kapitän die Maschine mit 188 kt in die Luft, 10 kt unterhalb der berechneten Rotationsgeschwindigkeit VR.
Zu diesem Zeitpunkt informierte der Tower die Piloten über Flammen hinter dem Flugzeug. Gleichzeitig kam im Cockpit die Feuerwarnung an und der Kapitän schaltete das Triebwerk Nr. 2 ab. Die Geschwindigkeit betrug jetzt gerade 200 kt. Um die Geschwindigkeit zu erhöhen, wollten die Piloten das Fahrwerk einfahren, was jedoch misslang. Mit 3 aktiven Triebwerken und dem ausgefahrenen Fahrwerk erreichte die Maschine gerade 210 kt und eine Flughöhe von 200ft.
In diesem Moment verlor das Triebwerk Nr. 1 weiter an Leistung. Der asymmetrische Schub ließ die rechte Tragfläche steil nach oben steigen. Die Crew reduzierte daraufhin die Leistung der Triebwerke Nr. 3 und Nr. 4 (auf der rechten Seite), um die Kontrolle über die Maschine wieder zu gewinnen. Doch es war zu spät: die Nase ragte fast vertikal nach oben, die Maschine drehte mehr als 90° um die Längsqachse und die Geschwindigkeit nahm rapide ab. Der resultierende Strömundsabriss ließ die Maschine mit dem Heck nach unten sinken und dabei nach links rollen. Sie fiel mit dem Heck zuerst auf ein kleines Hotel und explodierte sofort. Alle Personen an Bord sowie 4 Personen am Boden kamen ums Leben.
Faktoren
Vier Tage vor dem Absturz war das linke Fahrwerk gewartet worden. Dabei wurden auch Achsteile ausgetauscht. Ein wichtiges Teil, ein Abstandsstück (Spacer), ist beim Zusammenbau übersehen worden. Nach dem Unfall fand man den Spacer in der Air France Werkstatt, noch am ausgetauschten Achsteil befestigt.
Auf der Startbahn 26R war die Stelle, an der der Reifen zerplatzte, deutlich zu erkennen. Gummiteile lagen herum und der Metallstreifen aus Titan lag schräg vor dieser Stelle. Der Metallstreifen war nicht von der FAA zugelassen.
Andere Hinweise fanden sich nahe dem Punkt, wo sich die Maschine nach links gedreht und ein Landebahnlicht zerstört hatte. Die Spuren auf der Bahnoberfläche deuteten darauf hin, dass die Räder am linken Fahrwerk "aus der Spur" gerieten (also nicht mehr parallel zu den anderen Rädern liefen), wegen des fehlenden Spacer. Es bedeutet außerdem, dass die "Verdrehung" der Räder bereits bei Beginn des Starts eine Bremswirkung verursachte. Berechnungen von Piloten stützen diese Vermutung: bei normaler Beschleunigung wäre die Maschine bereits nach 1.694 m in der Luft gewesen, weit vor der Stelle, an der die DC-10 den Metallstreifen verloren hatte.
Weitere Faktoren deuten darauf hin, dass die Concorde überladen und außerhalb des sicheren Schwerpunkt-Bereichs war. Die 19 Gepäckstücke, mit einem Gewicht von 500kg, sind nicht bei der Gewichtsberechnung berücksichtigt worden. Die Verladung im hinteren Gepäckraum hat den Schwerpunkt nach hinten verlagert. Hätten die Piloten die Berechnung des Abfluggewichtes aktualisiert (1,2 Tonnen weniger verbrauchtes Taxi-Fuel, 500 kg mehr Gepäck, leichter Rückenwind - 8kt), dann wären sie mit 8 Tonnen überladen gewesen.
Der letztendlich entscheidende Fehler des Kapitäns war die Abschaltung des Triebwerks Nr. 2. Es entsprach nicht nur nicht dem festgelegten Verfahren, das Triebwerk brannte auch nicht. Auch mit verringerter Leistung hätte es die Concorde zumindest auf eine sichere Flughöhe bringen können.
Der Original Bericht "Repercussions of the Concorde Desaster" von Macarthur Job ist in "Flight Safety Australia", Issue 75, Jul-Aug 2010, erschienen.