"Einschätzungsvermögen und Entscheidungsverhalten" waren die wichtigsten Faktoren für die gelungene Notlandung auf dem Hudson River. Capt. Sullenberger verfügte über beides, und rettete somit viele Menschenleben.
Jeppesen hat Capt. Sullenberger, anläßlich seines Retirements und zur Würdigung seiner Leistung, diese Karte in Oshkosh, im Rahmen einer Young Eagle Veranstaltung, überreicht:
Human Factors über dem Hudson River
Es war Capt. Sullenberger, der den Airbus A320, Flug US 1549, nach einem fast Totalausfall der Triebwerke auf dem Hudson River notlandete. Kurz nach dem Start von LaGuardia, in einer Flughöhe von 3000 ft und einer Geschwindigkeit von 220 kt, kollidierte die Maschine mit einem Schwarm Grau-Gänse. Mehrere Vögel gerieten in die Triebwerke, die darauf hin ausfielen. Die Piloten starteten die APU (Auxiliary power unit), um wenigstens die Stromversorgung sicherzustellen. Außerdem senkte Capt. Sullenberger die Nase, damit die Geschwindigkeit nicht weiter abnimmt. Beide Piloten versuchten nun, die Triebwerke neu zu starten. Gleichzeitig verständigten sie die Flugsicherung: "This is Cactus 1549, hit birds - we lost thrust in both engines - we're turning back towards LaGuardia."
Aufgrund verschiedener Informationen und Beschreibungen lassen sich die Gedanken von Capt. Sullenberger nachvollziehen: er überlegte eine Rückkehr zum LaGuardia Flughafen [Judgement]. Das erwies sich als nicht möglich ("unable") [Decision]. Dann überlegte er, zum Teterboro Flugplatz (rechts gelegen vom derzeitigen Flugweg) auszuweichen [Judgement]. Doch das erschien ihm ebenfalls nicht als aussichtsreich ("We can't do it ....we may end up in the Hudson") [Decision]. Die Maschine war zu niedrig und zu langsam, um die jeweilige Option wahrnehmen zu können. Außerdem hätte er über bewohntes Gebiet mit vielen Hochhäusern fliegen müssen, ohne Möglichkeit einer Notlandung [Judgement]. Dann kam der (später) berühmte Funkspruch: "We're gonna be in the Hudson". [Decision]
Der Rest ist Geschichte: Capt. Sullenberger, ehemaliger Militär-Pilot und aktiver Segelflieger, mit 17.000 Flugstunden Erfahrung, steuert die Maschine nach links in Richtung Hudson River. Die Landeklappen nur halb ausgefahren, setzt er die Maschine mit 125 kt auf dem Wasser auf. Nach Aussagen von Passagieren fühlte sich der Aufschlag wie eine harte Landung an. Nachdem die Maschine zur Ruhe gekommen war, gab Capt. Sullenberger den Befehl: "evacuate". Ca. 1 Minute nach der Landung kletterten die Passagiere bereits auf die Tragflächen und nach weiteren 2 Minuten waren die ersten Fähren zur Stelle. Capt. Sullenberger ging als Letzter von Bord, ganz im Geiste der alten Schiffs-Kapitäne. Vorher überprüfte er die Kabine, ob wirklich alle Passagiere das Flugzeug verlassen hatten.
Es war nicht die erste Notwasserung eines Passagierflugzeuges: 1956, Pan American Flug 943, eine Boeing B377 Stratocruiser mit 4 Kolbenmotoren, auf dem Weg von Honolulu nach San Francisco, mit 25 Passagieren und 6 Crew-Mitgliedern, hatte innerhalb kurzer Zeit einen Ausfall von 2 Motoren. Die Piloten landeten in der Nähe eines Schiffes (siehe Abb. 1). Nach dem Aufsetzen unterschnitt die linke Tragfläche eine Welle und drückte somit die Maschine in's Wasser. Alle Personen an Bord überlebten die Wasserung.
Dann, 1963, landete eine Aeroflot Tu-124 auf dem Neva-Fluß in Moskau. Die Maschine hatte ein Problem mit dem Fahrwerk und verfügte über keinen Treibstoff mehr. Das Flugzeug wurde an das Ufer der Neva geschleppt, alle 52 Personen an Bord überlebten (siehe Abb. 2).
Nicht nur für die Verkehrsluftfahrt, auch für die Allgemeine Luftfahrt lassen sich wichtige Erkenntnisse aus der Wasserlandung ableiten: der Wille zum Überleben; ein exzellentes Flugtraining und das "fliegerische Können". Daraus erwächst "Judgement" (das Einschätzungsvermögen) und "Decisionmaking" (das Entscheidungsverhalten). Was jedoch Capt. Sullenberger heraushebt aus der Klasse des Alltagsbetriebes, in der hauptsächlich nach "Instrumenten" operiert wird, ist, dass er ausschließlich "visuell", ohne Instrumentenlandesystem oder sonstigen Landehilfen, anflog und landete. Er steuerte den Airbus exakt an die richtige Stelle nahe den Fähren. Und das alles in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand.
Ross Ewing (Dr.) ist Flugmediziner und lebt in Neuseeland. Während des Vietnam-Krieges flog er Aufklärungs-Einsätze, später die Douglas A-4 Skyhawk in der Neuseeländischen Luftwaffe. Er leitete das vertrauliche Berichtssystem "ICARUS", schreibt für die Zeitschrift "Pacific Wings" und den "AOPA-Newsletter" in Neuseeland.